Die
einzelnen Szenen und Musiknummern
Die Lieder sind blau gekennzeichet.
Die Fotos stammen aus dem Wiener Programmheft; Aufnahmen: Hermann und Clärchen
Baus.
Erster Akt
1. Szene: Wildnis
Der junge Wissenschaftler Alfred, gespielt von Aris
Sas, hat in Transsilvanien im Schneesturm – schönes Bühnenbild
- seinen Herrn und Meister, den hochberühmten Professor Abronsius
(Gernot Kranner), aus den Augen verloren. Als er ihn wiederfindet, ist
der Gelehrte steifgefroren.
Alfreds Lied »He, ho,
Professor« leitet das Stück ganz amüsant ein.
2. Szene: Chagals Wirtshaus – Die Ankunft
Die
Dorfbewohner singen ein Jubellied auf den Knoblauch, als Alfred den tiefgefrorenen
Professor in Chagals Wirtshaus bringt. Als dieser aufgetaut ist, sieht
er in den Unmengen Knoblauch einen sicheren Hinweis auf Vampire.
Gernot Kranner hat gleich das Heft in der Hand
und die Komik auf seiner Seite. Das »Knoblauchlied« ist ganz nett, wenn auch die russischen Anklänge zu stark sind (wir
sind in Transsilvanien!)
Foto: Anne Welte als
resolute Wirtin besingt den Knoblauch (im Hintergrund James Sbano als Chagal)
3. Szene: Chagals Wirtshaus – Sarahs Bad
Chagals und Rebeccas Tochter Sarah (Cornelia
Zenz) badet für ihr Leben gern. Das Badezimmer liegt zwischen
ihrer Kammer und der der Gäste. Als Alfred sie beim Baden sieht, verliebt
er sich sofort in sie. Chagal vernagelt die Tür zwischen ihrer Kammer
und dem Badezimmer.
Chagals Lied »Eine
schöne Tochter ist ein Segen« ist eine wunderbar komische
Nummer und hat das Zeug zum Hit.
4. Szene: Chagals Wirtshaus – Keiner schläft
Eine der komischsten Szenen des Musicals, bei dem das
geniale Bühnenbild für das Gasthaus voll zum Tragen kommt. Während
Sarah und Alfred voneinander schwärmen, schleicht Chagal zur Magd
Magda (Eva Maria Marold). Der Professor will den Geräuschen auf den
Grund gehen und bekommt von Rebecca eines mit der Salami übergebraten.
So komisch und gut gespielt die Szene ist – der
Text von Sarah und Alfreds Liebesduett »Nie
geseh'n« ist leider oberkitschig.
5. Szene: Chagals Wirtshaus – Ein Schatten in der Nacht
Sarah hört Graf Krolok (Steve Barton), er verspricht
ihr eine neue Welt.
»Gott ist tot« verkündet der Graf – doch so ganz klar wird nicht, was er nun eigentlich
zu verkünden hat.
6. Szene: Vor Chagals Wirtshaus – Koukol taucht auf
Chagal, Rebecca und Magda arbeiten vor dem Haus, als Koukol
(Torsten Flach) auftaucht und für seinen
Herrn Kerzen verlangt. Die Reaktion Chagals überzeugt den Professor
davon, dass es in der Nähe Vampire geben muss.
»Alles ist hell« verkünden die Wirtsleute am frühen Morgen und versuchen doch,
die Wahrheit zu verschleiern. Doch der Professor lässt sich nicht
beirren. Zum erstenmal lässt er sein Lied »Wahrheit« erklingen – ein toller, wunderschön komischer Song, mit dem Steinman
die Figur bestens charakterisiert.
7. Szene: Chagals Wirtshaus – Alarm im Badezimmer
Sarah schleicht sich durch Alfreds Zimmer ins Bad – während
Alfred sich heimlich mehr erhofft, will sie doch nur baden. Als Alfred
durchs Schlüsselloch späht, sieht er Graf Krolok, der Sarah zum
Ball einlädt. Als er und der Professor ins Bad eindringen, ist der
Graf geflohen – und lässt Sarah sehnsüchtig zurück.
Sarahs und Alfreds »Du
bist wirklich sehr nett« ist leider sehr banal, Kroloks »Einladung
zum Ball« hingegen rundum gelungen.
8. Szene: Vor Chagals Wirtshaus – Sarah geht
Koukol bringt Sarah ein Geschenk vom Grafen – ein paar
rote Stiefel. Obwohl Alfred ihr seine Liebe erklärt, macht sie sich
auf den Weg zum Schloß. Chagal eilt ihr hinterher, um sie zu retten.
»Draußen ist
Freiheit« – das Liebesduett von Sarah und Alfred kommt noch
mehrmals vor und ist leider so kitschig wie banal. Sehr gelungen ist hingegen
die Tanznummer »Die roten Stiefel«, in der Sarah sich auf den
Ball träumt – schöne Musik und atmosphärisch dicht.
9.
Szene: Chagals Wirtshaus – Chagal der Vampir
Der Professor versucht die Dorfbewohner aufzumuntern,
als Chagals gefrorene Leiche gebracht wird. Abronsius erkennt sogleich
die Vampirmale, wird aber von Rebecca gehindert, Chagal zu pfählen.
In der Nacht schleicht Magda zu Chagal, um mit ihm abzurechnen; dieser
beißt sie. Der Professor und Alfred kommen, um Chagal zu pfählen;
sie jagen und fangen ihn. Sie lassen ihn jedoch »leben«, damit
er sie aufs Schloss führt.
Den »Knoblauch«,
den die Dorfbewohner (leider wieder russisch angehaucht) besingen, scheinen
sie selber nicht zu trauen. »Mumm« will ihnen der Professor machen, aber obwohl sie vorgeben, Chagal sei ein
Opfer der Wölfe geworden (»Die Wölfe
sind gefährlich«), flüchten sie feige. Einzig Abronsius
behält den Überblick (»Wahrheit!«).
Magdas »Tot zu sein ist komisch« ist eine wunderschöne Abrechnung mit dem fiesen Knopf, der sie
sexuell mißbraucht hat und dem sie jetzt doch nachtrauert.
10. Szene: Vor dem Schloss – Die Einladung
Der Professor und Alfred folgen Chagal zum Schloß,
wo Graf Krolok sie höflich-höhnisch einlädt. Sein Sohn Herbert
(Nik) freut sich schon auf die Gesellschaft von Alfred...
Mit »Seid bereit« tauchen die Vampire im Publikum auf – sehr gelungen und beeindruckend.
Kroloks Begrüßung »Wohl der Nacht«
ist leider etwas schwach, und sein Lied an Alfred »Wohl
dem Mann«, mit dem er diesen gleichzeitig bedroht und verführen
will, unnötiger Ballast vor der Pause. So gelungen Bühnenbild
und Effekte sind – weniger wäre hier mehr.
Hier wird auch noch stärker als bei »Gott
ist tot« die Schwäche der Vampirrolle deutlich – was der
Vampir eigentlich will, wie er sich sieht, bleibt unklar.
Zweiter Akt
1. Szene: Schlosshalle – Die Verführung
Graf Krolok und Sarah im Liebes(?)duett – sie scheint
bereit zu sein, sich ihm hinzugeben, auch wenn immer noch nicht ganz klar
wird, warum eigentlich...
»Tauch mit mir in die
Dunkelheit ein« fordert Krolok Sarah auf und verspricht ihr
dies zugleich. Zwingend ist dies aber nicht – bombastisch, ja, melodiös,
ja – aber was an diesem Text ist so bezwingend, dass Sarah nachgibt,
was an diesem Vampir so anziehend und verführerisch, dass Sarah
für ihn den jungen hübschen Alfred aufgibt? Zu steif, zu wenig
machtvoll ist mir der Vampir; fast gewinne ich den Eindruck, dass
Steve Barton sich mit seiner Rolle nicht so recht identifizieren kann.
Das wiederum würde mich nicht mal wundern – wie soll ein Schauspieler
dieser Rolle ein klares Profil verleihen, wie sie kraftvoll interpretieren,
wenn ihn Buch und Regie im Stich lassen?
2. Szene: Schlafzimmer im Schloss – Alfreds Alptraum
Alfred und der Professor schlafen; Alfred wird von einem
Alptraum geplagt.
Eine der stärksten Szenen im ganzen Stück;
Musik und Choreographie sind vom Feinsten, das Ensemble zeigt in »Carpe
Noctem« Spitzenleistungen.
3.
Szene: Schlafzimmer im Schloss – Es geht los!
Am nächsten Morgen – Koukol hat das Frühstück
gebracht – sind Alfred und der Professor bester Laune: Die Jagd auf die
Vampire kann losgehen!
»Alles ist gut« trällert Alfred – vor allem, als er noch hofft, das Frühstück
sei von Sarah gebracht. Selbst Koukols Anblick kann seine gute Laune nur
kurz trüben.
4. Szene: Gruft – Vergeblicher Versuch
Die
Szene in der Gruft ist eine der gelungensten und komischsten des Stückes.
In einer sehr dekorativen und skurrilen Kulisse bleibt der Professor am
Geländer hängen, und Alfred bringt es nicht übers Herz,
den Grafen und seinen Sohn zu pfählen. Mit seinem enttäuschten
Lehrmeister zieht er wieder ab.
Aus einem unscheinbaren Sarg steigen Chagal und Magda
und streiten, ehe Koukol sie wieder zuückschickt. Doch wieso das,
wenn sie am Tage schlafen müßten? Der Graf und sein Sohn werden
nicht mal bei Alfreds Getöse wach! Hier hat man um der – gelungenen
- Szene willen wohl etwas die vom Professor so gelobte Logik außer
Acht gelassen...
»Der menschliche Wille
ist stärker«, bilden sich Abronsius und Alfred ein, doch »Die
menschliche Geilheit ist stärker«, korrigieren sie später
Magda und Chagal. Mit seinem »Jeder
saugt jeden aus« bringt Chagal die politisch-soziale Komponente
des Vampirismus zur Sprache.
5. Szene: Bibliothek – Bücher über Bücher
Abronsius und Alfred entdecken die Schloßbibliothek.
Der Professor ist von diesem Schatz gefesselt und merkt nicht, dass
sein Adlatus verschwindet.
»Bücher, Bücher!« jubelt Professor Abronsius und präsentiert in einem kleinen Meisterwerk
an Rasanz und Sprachkunst einen Überblick über die abendländische
Philosophie und Belletristik mit ein paar Spitzen auf die Moderne.
6. Szene: Badezimmer im Schloss – Sarah bleibt
Alfred hört Sarah singen und findet sie in einem
prachtvollen Badezimmer. Sie weigert sich, mit ihm zu fliehen – sie will
auf den mitternächtlichen Ball.
»Draußen ist
Freiheit«, singen die zwei wieder, aber Sarah und Alfred meinen
damit etwas ganz Unterschiedliches. Auch Alfreds Liebeslied »Für
Sarah« kann sie nicht umstimmen.
7.
Szene: Bibliothek – Das Liebesbuch
Wieder in der Bibliothek, kann Alfred den Professor nicht
von den Büchern trennen. Dann findet er ein Buch über Anmache
und Verführung.
»Bücher, Bücher!« lautet immer noch die einzige Antwort des begeisterten Professors, der
sich einfach nicht losreißen kann. »Wenn
Liebe in dir ist«, zitiert Alfred aus dem Buch, das ihm wie
gerufen kommt, und macht sich auf, wieder nach Sarah zu suchen.
8.
Szene: Badezimmer im Schloss – Herbert und Alfred
Im Badezimmer wird Alfred bereits erwartet – von Herbert,
dem schwulen Sohn des Grafen. Der versucht ihn zu verführen; als Alfred
entdeckt, dass seine Gegenüber kein Spiegelbild hat, flieht er,
doch vergeblich. Prof. Abronsius, der die Szene grob mißversteht,
rettet ihm in letzter Sekunde das Leben und vertreibt Herbert.
»Wenn Liebe in dir
ist« singt diesmal der Grafensohn, der Alfred seine Liebe
gesteht und ihn dann doch beißen will – sich aber plötzlich
mit dem Buch zwischen den Zähnen wiederfindet. Obwohl eigentlich ganz
gelungen, fällt diese Szene an Rasanz und Komik gegenüber dem
Film doch sehr ab.
9. Szene: Der Friedhof – Die Klage der Vampire
Von den Zinnen des Schlosses aus beobachten
Alfred und der Professor, wie sich die Vampire aus ihren Gräbern erheben.
»He,
ho, Professor« – mit diesem Lied aus der ersten Szene überrascht
und verhöhnt Graf Krolok die beiden und teilt ihnen mit, es sei alles
zu spät. Währenddessen fährt – in 60 Sekunden, die einem
viel länger erscheinen – der 9x6 Meter große und 1,5 Tonnen
schwere Friedhof herab und klettern die TänzerInnen von unten in ihre
Gräber, um diesen dann mit ruckartigen Bewegungen zu entsteigen. Szenerie,
Bühnenbild, Choreographie und Ensemble sind Spitze, die Musik ist
nur ein ganz klein wenig zu rockig – wenn nur der Text des Ensemble-Liedes
nicht wäre! »Ewigkeit ist Langeweile auf
Dauer« – was soll der Unsinn? Natürlich gibt es solche
Interpretationen des Untotendaseins – aber dann muss das Umfeld stimmen.
Dann darf es keinen Ball geben und vor allem keine angeblich lüsternen
Grafen und Grafensöhne, aber auch der Machthunger
und die Weltbeherrschungsphantasien der Vampire passen hier nicht.
Die Widersprüche in dieser Vampirinterpretation snd einfach zu stark.
Und wenn Graf Krolok anschließend »Die
unstillbare Gier« besingt,
wird die Rolle ganz unglaubwürdig. Weder
seine angedeutete Depression noch seinen »Lebens«überdruß
kauft man ihm ab, eher schon seinen Machthunger. Und was ist nun eigentlich
diese Gier? Nach Leben – wenn er sich doch so langweilt? Nach Blut?
Das wäre nichts anderes als normaler Hunger!
»Sie sehnte
sich nach Liebe, obwohl sie wußte, dass sie das, was sie liebte,
zerstören würde«, heißt es in unserem Theaterstück »Carmilla« über die Vampirin. So könnte man vielleicht auch das Klagelied
des Grafen interpretieren, wie man hier überhaupt viel spekulieren
und sicher einige schlüssige Interpretationen finden kann. Doch warum
liefert diese nicht das Stück, warum bleiben Buch und Regie hier so
vage und unentschlossen? Schade!
10. Szene: Ballsaal – Der Ball der Vampire
Professor
Abronsius und Alfred schlagen zwei Vampire nieder und schleichen sich in
deren Kostümen in den Ballsaal. Der Graf beißt die sich willig
darbietende Sarah, beim anschließenden Tanz nehmen die zwei Wissenschaftler
mit ihr Kontakt auf und versuchen, sie zur Flucht zu bewegen. Durch die
Spiegelwand werden sie entlarvt: Nur die drei sind im Spiegel zu sehen.
Mit Mühe und Not können sie entkommen.
»Seit willkomen«,
begrüßt der Graf sein Gäste (warum sich diese noch die
halbe Szene ruckartig bewegen, bleibt ein Rätsel). Nach dem Biss
gibt es ein hübsches Menuett. Leider
ist einer der schönsten Sprüche des Films weggefallen: »Die
Zähne gewetzt – und ihnen nach«, brüllt dort Graf Krolok.
Hier bleibt es bei einem biederen: »Saugt sie aus!«
11. Szene: Wildnis – Der letzte Biss
Die
drei sind entkommen. Doch während Professor Abronsius freudig seine
Notizen vervollständigt, beißt Sarah zu.
»Draußen ist Freiheit«,
heißt es ein letztes Mal – wobei zumindest vor dem Biss Alfred
und Sarah wieder etwas Unterschiedliches meinen. Danach aber sind sie sich
einig und künden damit von der Eroberung der Welt, wie sie das Ensemble
im Großen Finale, im »Tanz der Vampire« noch einmal wunderschön beschwört. Ein bombastischer, gelungener
Schluss für eine trotz aller Schwächen sehenswerte Produktion.
© 1997 Friedhelm
Schneidewind